Was ist Digitalisierung? Teil 4

In Teil 1, Teil 2 und Teil 3 dieser Blog-Serie habe ich u. a. über das exponentielle Wachstum der Digitalisierung gesprochen und über den Netzwerkeffekt des Internets. In diesem 4. Teil möchte ich darstellen, wie amerikanische Unternehmen es verstanden haben, ganze Branchen mit ihren neuen digitalen Geschäftsmodellen zu überrollen.

Analoge Ineffizienz +Kreative Geschäftsidee +Plattform-Denken

In Deutschland und Europa haben wir offensichtlich zwei besonders wichtige Punkte in der Digitalisierung übersehen:

  1. Die großen Ineffizienz-Potenziale (in nicht-industriellen Bereichen)
  2. Die Macht von Plattformen im Internet

Genau diese beiden Punkte haben Unternehmensgründer, vor allem im Silicon Valley in Kalifornien, zu ihrer Geschäftsgrundlage gemacht.

Beispiel Amazon

Mehr oder weniger als Blaupause für entsprechende Geschäftsmodelle kann Amazon mit Firmensitz in Seattle, im US-Bundesstaat Washington, dienen. Jeff Bezos, dessen Gründer und Chef, ist laut letzter offizieller Rechnung reichster Mann der Welt. Möglicherweise ändert sich das allerdings demnächst wieder, da Amazons Börsenkurs derzeit stark unter Druck steht. Ein zentraler Ausspruch von Bezos, ich meine sogar eine Art Credo von Amazon, lautet: „Deine Marge ist meine Chance.“

Wie hat er das gemeint?

Traditionell organisierte Firmen versuchen in der Regel, ihre Gewinnmarge möglichst hoch zu halten. Darauf basiert deren gesamte Kalkulation. Viele geschäftliche Abläufe sind analog und damit oft wenig effizient. Aktiv verkaufen solche Firmen häufig nur regional begrenzt, vorzugsweise fokussiert auf besonders wichtige Kundengruppen.

Das Geschäftsmodell von Amazon im Online-Versandhandel (‚Amazon Marketplace‘) sieht dagegen so aus: Einkaufen per Internet in Verbindung mit exzellenter schnellster Logistik und bequemen Zahlungsmöglichkeiten bietet allen möglichen Kunden weltweit einen Vorteil, der vom jeweiligen stationären Handel nur schwer zu toppen ist.

Um schnell große Marktanteile zu erreichen, auch international, hat Amazon seine Plattform für andere Händler geöffnet. Diese verkaufen angesichts des von Amazon in die Plattform eingebauten direkten Preisvergleichs in hartem Wettbewerb miteinander. Auch die Preise der von Amazon selbst vermarkteten Produkte werden immer wieder knallhart kalkuliert, häufig nicht einmal kostendeckend. Verluste interessieren erst mal nicht. Marktbeherrschung hat Vorrang. Das allem übergeordnete Ziel lautet „Amazon ist DIE Plattform für Online-Shopping“.

Eine kleine aber aufschlussreiche Randnotiz: Amazon sollte ursprünglich Relentless (engl. für gnadenlos, unbarmherzig) heißen, aber Freunde von Jeff Bezos rieten ihm von diesem Firmennamen ab.

Nach großen Erfolgen im Online-Shopping verfolgt Amazon offensichtlich die Absicht, mit eigenen Produkten wie Kindle, Fire, Alexa oder Echo sowie Dienstleistungen wie Amazon Prime und Prime Video, Amazon Music, Amazon Pay, Amazon Fresh etc. in immer weitere Lebensbereiche seiner Kunden vorzudringen und diese ebenfalls möglichst vollständig abzudecken.

Via Kindle verkauft Amazon z. B. heute mehr als die Hälfte aller E-Books in Deutschland. Echo und Alexa, der Cloud-basierte Sprachdienst von Amazon, können nicht nur immer mehr Wünsche erfüllen, sie können auch Amazon über die persönlichen Vorlieben, Lebensgewohnheiten usw. ihrer Nutzer informieren. Soviel an dieser Stelle erneut zur kostenlosen Datenweitergabe.

Beginnend mit dem Buchhandel hat Amazon so eine Branche nach der anderen umgekrempelt. Ganz aktuell scheint Amazon es auf die Finanzbranche abgesehen zu haben.

Amazon hat auch als einer der ersten im Jahr 2006 ein damals noch recht junges Geschäftsfeld für sich entdeckt: das Angebot von Cloud Rechenzentrumsleistungen. Amazon Web Services (AWS) ist heute unangefochten der weltweite Marktführer auf diesem Feld vor Microsoft mit Azure, Google Cloud und IBM Softlayer / Bluemix.

Hunderte von US-Unternehmen haben Ähnliches versucht wie Amazon. Viele mit enormem Erfolg, wie z. B.: Google, Apple, eBay, YouTube, PayPal, Facebook, LinkedIn, Instagram, Uber, Airbnb, Netflix. Deren Erfolg heißt für die Branchen und Unternehmen, die betroffen sind, häufig Disruption: Zerstörung ihres Geschäftsmodells. Dabei war meines Erachtens die Zerstörung nicht das Hauptziel der überwiegend amerikanischen Angreifer, sondern eher ein Kollateralschaden, eine unvermeidbare Begleiterscheinung.

Die geschäftliche Chance dieser US-Firmen bestand und besteht nämlich in

  1. der Ineffizienz analog geprägter Geschäftsprozesse, die gegenüber digital optimierten Abläufen nicht wettbewerbsfähig sind
  2. einer kreativen Geschäftsidee
  3. der möglichen globalen Internetplattform-Position in einem bestimmten Markt

Etliche Internetplattform-Positionen sind in den letzten 10 oder 20 Jahren von diesen Unternehmen besetzt worden. Teilweise haben sie wiederum andere Unternehmen mit Plattform-Position gekauft. Beispiele sind Google, die YouTube gekauft haben, oder Facebook mit WhatsApp und Instagram sowie Microsoft mit LinkedIn. Auch die deutsche SAP – siehe Teil 3 dieser Blog-Reihe – hat mit Ariba eine solche Plattform-Position gekauft. Vermutlich aus eigener Kraft versucht die Firma Klöckner den Aufbau einer weltweiten Online-Plattform für den Handel mit Stahl.

Für die überwiegende Mehrzahl deutscher Unternehmen geht es in der Digitalisierung aber nicht um weltweite Internetplattformen, um vollständig neue Geschäftsmodelle in kurzer Zeit oder gar um Disruption.

Fast immer geht es um Wettbewerbsfähigkeit in einer zunehmend digitalisierten Welt. Es geht um gute Ideen und vor allem um die Ablösung ineffizienter analog geprägter Geschäftsprozesse durch optimierte digitalisierte Abläufe.

Und das ist unser Thema.

Monopolartige Strukturen

Netzwerkeffekte begünstigen monopolartige Strukturen. Ein Unternehmen besetzt die internationale oder globale Plattform. Jeder, der die dort angebotene Leistung nutzen will, ist gezwungen, den zugehörigen Geschäftsbedingungen und Preisen zuzustimmen. Kleinere Wettbewerber haben kaum eine Chance. YouTube kennen alle, aber wer kennt Vimeo oder MyVideo?

Grundsätzlich sind Monopole nicht verboten. Untersagt ist aber der Monopol-Missbrauch. In der ALTEN Wirtschaft sind die Kartellämter da sehr wachsam und rege. In der NEUEN Wirtschaft tun sie sich schwer. Dort gibt es (bisher) kaum Regeln. Und im digitalen Umfeld mit den Regeln der alten Wirtschaft Monopolmissbrauch nachzuweisen ist schwierig und langwierig. Außerdem sind die Gegner Giganten. Ihr Marktwert kann durchaus mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) eines kleineren EU-Landes mithalten. Ihnen mangelt es auch nicht an Kreativität und Geld, entsprechenden Vorwürfen auszuweichen oder zu begegnen.

Das bringt uns wieder zum dringenden Handlungsbedarf des Gesetzgebers nach Rahmenbedingungen für die digitale Welt. Schon vor Jahren hat Olaf Scholz, damals noch Hamburgs Erster Bürgermeister und heute Bundesfinanzminister, Regeln für Plattformen angemahnt.

Und was ist seitdem passiert?

Im nächsten Beitrag zu dieser Blog-Reihe befasse ich mich mit dem Internet der Dinge, mit Industrie 4.0 und mit Software.

Ludger Grevenkamp
18. April 2018

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